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Alfred Zander 1905–1997. Pädagoge, Frontist, Landesverräter

Der Schweizer Alfred Zander ist vergessen, obwohl er in den 1930er- und 40er-Jahren ein prominenter Rechtsradikaler war. Nach dem Krieg verdrängte man den Namen Zander ebenso wie viele andere aus dem öffentlichen Bewusstsein. - Erschienen in: Traverse Heft 3, 2003, S. 144-159

Alfred Zander gehörte in den 1930er-Jahren zu den bekanntesten Frontisten unseres Landes. Zugleich war er ein Mitglied des respektablen Anthropologischen Instituts, wo er als feinsinniger Reformpädagoge und Pestalozzikenner geschätzt und gefördert wurde. 1939 aufgrund seiner rechtsradikalen Aktivitäten verurteilt floh er nach Verbüssung seiner Strafe nach Deutschland, wo er sich weiter für seine Vision eines europäischen Staatenbundes unter germanisch arischer Führung engagierte. 1943 vom Bundesrat in einem nicht unumstrittenen Verfahren ausgebürgert, wurde er 1947 wegen Landesverrats in Abwesenheit zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt. Dass man sich in der Folge nicht um Zanders Auslieferung kümmerte, ja sogar explizit auf eine solche verzichtete, da der Verurteilte kein Schweizer Staatsbürger sei, bestärkt den im Kontext der Landesverräterprozesse der Jahre 1946–1948 seither verschiedentlich geäusserten Verdacht, dass es der offiziellen Schweiz damals weniger um die tatsächlichen Vergehen der Verurteilten, sondern um die schmerzlose Entsorgung der eigenen Vergangenheit ging. Die Landesverräterprozesse als politische Schauprozesse zu Gunsten des kompromitierten schweizerischen Establishments? Das Beispiel Zanders, der – in der Schweiz steckbrieflich gesucht – bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1970 in Deutschland als Lehrer und Heimleiter tätig war, scheint diese brisante, von der Forschung bis anhin jedoch kaum ernsthaft untersuchte These zu erhärten.

Ausbildung und pädagogische Anfänge

Alfred Zander kam am 2. April 1905 in Brunnen/Schwyz zur Welt. Nach verschiedenen Ortswechseln bestand Zander 1923 in Zürich das Maturitätsexamen.[1] 1923/24 liess er sich an der Universität Zürich zum Primarlehrer ausbilden. Danach arbeitete er etwa ein Jahr als Erzieher und Lehrer an der Gewerbe- und Fortbildungsschule im Pestalozziheim Neuhof (Aargau). Vom Januar 1926 bis Mitte Oktober 1928 finden wir ihn als Primar- und Englischlehrer am Landerziehungsheim Hof Oberkirch, einer der lebendigsten reformpädagogischen Schulen der damaligen Schweiz.[2] Ab Oktober 1928 studierte Zander in Genf und Zürich Pädagogik und Anglistik. Im Frühjahr 1931 schloss er sein Studium mit einer im folgenden Jahr von Sauerländer verlegten Arbeit über «Leben und Erziehung in Pestalozzis Institut zu Iferten» ab.

Zander stand der Jugendbewegung nahe. Verschiedene «Wandervogel, Nord- und Südland-Fahrten» hatten ihn während dieser Jahre bis nach Nordafrika und Finnland geführt. Als Erzieher war er deutlich von der Reformpädagogik geprägt, die in allen industrialisierten Ländern seit der Jahrhundertwende gegen die Vermassung und Intellektualisierung des Bildungswesens opponierte und eine auf partnerschaftlichem Miteinander und Respekt vor der Individualität jedes Kindes beruhende «neue Erziehung» forderte.[3] So schrieb er im Juni 1932 in der Schweizer Erziehungsrundschau beispielsweise ganz im Sinne dieser Bewegung: «Es ist [...] nicht der Mitmensch, der erzieht, sondern das, was zwischen mir und dem Mitmenschen lebendig wurde. Das Wesentliche liegt in der gegenseitigen Beziehung und nicht im Objekt oder Subjekt. Er [der Zögling, M. N.] muss seine Zusage geben, damit jenes Wunderbare der erzieherischen Situation, das Erziehung von aller Dressur, Bevogtung und Suggestion unterscheidet, überhaupt ins Leben gerufen wird. Wie und wann diese Zusage gegeben wird ist uns verborgen.» Gefragt, wie er erziehe, habe er während seiner Zeit auf dem Neuhof einmal geantwortet: «Ich weiss es nicht: Ich lebe und arbeite mit den Jungen. Ich nehme alle ernst und sie nehmen mich ernst. Jeden suche ich zu verstehen –, zu ertragen und – wenn's geht – zu lieben, und sonst bin ich, wie ich eben bin.»[4] Zum Zeitpunkt dieses reformpädagogischen Bekenntnisses gehörte Zander bereits zu den prominentesten Rechtsradikalen der Schweiz.

Politisches Engagement und akademische Karriere 1930–1937

Alfred Zanders Politisierung begann nach eigenen Aussagen schon während seiner Schulzeit; sie äusserte sich in einer vorwiegend gefühlsmässigen antikapitalistischen und antibürgerlichen Haltung.[5] Seine eigentliche politische Karriere begann mit der Gründung der «Nationalen Front» im Herbst 1930. Zander war damals 25 Jahre alt. Mit ihrer für die damalige Schweiz ungewohnt aggressiven Hetze gegen Juden, Kommunisten und Freimaurer und mit ihrer offenen Bewunderung der deutschen Nationalsozialisten war die Nationale Front zu Beginn der 1930er-Jahre die radikalste Gruppierung innerhalb der erstarkenden rechtsradikalen Szene der Schweiz.[6] Im Herbst 1932 übernahm Zander zusammen mit Ernst Biedermann und Eduard Rüegsegger die Leitung der Nationalen Front. Zugleich wurde er zum hauptverantwortlichen Redaktor des Eisernen Besens, der Zeitung der Nationalen Front.[7] Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland Ende Januar 1933 erhielt die bis dahin nur einige Tausend Mitglieder zählende Gruppierung wie alle faschistischen Organisationen der Schweiz starken Auftrieb. Im April und Mai 1933 schloss man sich schliesslich mit zwei weiteren Gruppen zusammen und gründete eine reguläre politische Partei mit Namen «Nationale Front». Wieder gehörte Alfred Zander zusammen mit Ernst Biedermann, Rolf Henne, Hans Oehler, Eduard Rüegsegger und Robert Tobler zur Parteileitung. Er widmete sich von nun an besonders dem Aufbau der «Nationalen Jugend», durch welche der Nachwuchs für die Mitarbeit in der Nationalen Front gewonnen werden sollte. Nach einem von Anhängern der Nationalen Front ausgeübten Sprengstoffanschlag auf einen sozialdemokratischen Journalisten in Zürich im Januar 1934 wuchs die interne Kritik an dem als zu radikal empfundenen Kurs der Parteileitung. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde Zander vorübergehend aus der Partei ausgeschlossen, trat ihr im September 1935 jedoch wieder bei und wurde 1937 erneut in ihre Leitung berufen.

Neben seinem politischen Engagement verfolgte Zander damals auch akademische Ziele. Im Herbst 1931 war er, frisch promoviert und «von seinen akademischen Lehrern warm empfohlen»[8] als Stipendiat in das Anthropologische Institut aufgenommen worden. Ziel dieses von der Luzerner Sidler-Stiftung 1930 gegründeten, während langer Jahre vom Basler Philosophie- und Pädagogikprofessor Paul Häberlin geleiteten Seminars für postgraduierte Studien in Philosophie, Psychologie und Pädagogik war es, besonders begabte Kandidatinnen und Kandidaten bei ihrer Habilitation zu unterstützen und damit Einfluss auf die künftige philosophische Elite der Schweiz nehmen zu können.[9] Häberlin, der die Gefahr von Rechts «in Übereinstimmung mit der Mehrheit der öffentlichen Meinung der Deutschschweiz»[10] lange nicht ernst nahm, hatte seinen Schüler anfänglich immer wieder gegen interne und externe Kritik in Schutz genommen und sein politisches Engagement als Ausdruck seines jugendlichen Temperaments toleriert. Auf Druck des Institutsvorstands stellte er Zander jedoch im Dezember 1933 schliesslich vor die Alternative, entweder aus dem Institut auszutreten oder seine politische Arbeit aufzugeben. Drei Monate später erklärte Zander, der bis zu diesem Zeitpunkt vom Institut auch materiell unterstützt worden war, seinen Rücktritt. Bald danach auch aus der nationalen Front ausgeschlossen, konzentrierte er sich während der folgenden Jahre ganz auf seine publizistische Arbeit im Dienst der faschistischen Erneuerung der Schweiz. Er schrieb für diverse Zeitungen und veröffentlichte in dem von ihm gegründeten Verlag Schweizer Degen 1935 die Schriften «Dokumente zur Judenfrage in der Schweiz» sowie «Freimaurerei in der Schweiz: Eine sachliche Begründung beruhend auf freimaurerischen Dokumenten der Notwendigkeit des Kampfes gegen die internationale freimaurerische Geheimgesellschaft in der Schweiz». 1937 veröffentlichte er im deutschen Verlag für nationale Literatur in Stuttgart das Buch «Ein Schweizer über das Verhältnis der Eidgenossenschaft zum Reich», ein Thema, welches ihn seither andauernd beschäftigte.

Zwischen 1932 und 1938 hielt Zander sich immer wieder für kürzere oder längere Zeit in Italien, Österreich und Deutschland auf. Er besuchte politische Schulungskurse und nahm am «internationalen Kongress für Freizeit und Erholung», an der Olympiade, an einem Reichsparteitag, am «Allemannentag» und anderen Anlässen teil und kam mit «führenden nationalsozialistischen Persönlichkeiten» in Kontakt.[11]

Im Zuge der Annäherung an den Nationalsozialismus wurde Zanders pazifistisch romantische Erziehungsphilosophie immer mehr zur aggressiven Suche nach einem von moderner Wissenschaft und «marxistisch jüdischem Materialismus» befreiten Paradies. Der von der Reformpädagogik oft ge- und missbrauchte Begriff der (Volks)-Gemeinschaft wird von 1934 an zum Dreh- und Angelpunkt seines pädagogisch-politischen Denkens, denn «nur eine gesunde Volksgemeinschaft [...] ist im Stande», so Zander in einem damals erschienenen Artikel, «eine gesunde Erziehung der Jugend zu ermöglichen.» Dabei lässt Zander keinen Zweifel daran, dass in dieser Gemeinschaft kein Platz für Internationalität und Individualismus, für aufgeklärte Liberalität und vor allem kein Platz für Juden und Bolschewisten sei. «Ob national oder international, ob sozial oder individualistisch, ob idealistisch oder materialistisch, ob ständisch gebunden oder kapitalistisch frei, ob europäisch christlich oder bolschewistisch-jüdisch, ob Volk oder Klasse, ob Gemeinschaft oder contract social» –, das seien die Alternativen, um die es heute gehe. Mit diesen Schlagworten sind auch die «zersetzenden Mächte» genannt, gegen welche Zander jetzt kämpfte.[12]

Der «Bund treuer Eidgenossen», Gefängnis und politische Karriere 1938–1941

Im Herbst 1937 begannen Zander und sein Freund Hans Frei mit dem Aufbau eines «privaten Nachrichtendienstes», so die offizielle Bezeichnung des Spitzelnetzes, mit dessen Hilfe sie Informationen über das politische Verhalten von Emigrantinnen und Emigranten sowie Botschaftsangehörigen sammelten und nach Deutschland schleusten.[13]

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938 erhielten die faschistischen Bewegungen in der Schweiz, um die es zwischenzeitlich etwas ruhiger geworden war, erneuten Auftrieb. Zander sah darin eine neue Chance: Er trennte sich von der Nationalen Front und gründete zusammen mit einigen anderen ehemaligen Mitgliedern der Bewegung den «Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung», BTE. Die Organisation profilierte sich bald als die radikalste aller rechten Gruppierungen jener Jahre. Sie sorgte nicht zuletzt durch ihre wiederum von Zander redigierte Zeitschrift Schweizer Degen für Aufsehen. Die Zeitung, die bald eine Auflage von 20'000 Exemplaren erreichte, trug den programmatischen Untertitel «Schweizerisch nationalsozialistisches Kampfblatt gegen Hochfinanz, Judentum, Freimaurerei und Marxismus – für eine wahrhaft freie Eidgenossenschaft».

Schon bald nach seiner Gründung wurde der von Zander offiziell bis 1941 geleitete Bund treuer Eidgenossen in verschiedene Strafverfahren verwickelt. In diesem Zusammenhang ordnete die Bundesanwaltschaft am 8. November 1938 unter anderem auch eine Hausdurchsuchung bei Alfred Zander an, und zwei Tage später – am Tag nach der Reichskristallnacht – wurde er selbst verhaftet. Der Schweizer Degen wurde vom Bundesrat verboten.[14] Nach Abschluss der Voruntersuchungen erhob die schweizerische Bundesanwaltschaft Klage gegen «Zander und Consorten». In der Anklageschrift wird unter anderem festgestellt, dass jedes Mitglied des Bundes treuer Eidgenossen einen besonderen Treueeid auf den Führer des Bundes, Alfred Zander, habe leisten müssen. Ziel des Bundes war, so die Anklage, «die Machtübernahme mit Zander als Führer an der Spitze des nationalsozialistischen Staates unter seiner vollen Verantwortung und vollautoritären Entscheidung.»[15]

Der Prozess gegen Zander und circa zwanzig weitere Mitangeklagte (unter ihnen auch Zanders älterer Bruder Konrad) fand schliesslich vom 10. bis zum 14. Juli 1939 in Zürich statt. «Im Zuschauerraum ein Harst unreifer Burschen, die der nationalsozialistischen Propaganda erlegen waren, und der Hauptangeklagte in übermütiger Siegerstimmung, die ihn immer wieder zu der Drohung verleitete, dass ihm in einem späteren Prozess die Rolle des Richters zufallen könnte» –, so schrieb die Neue Zürcher Zeitung dreizehn Jahre später anlässlich der Pensionierung von Eugen Blocher, einem der damals amtierenden Bundesrichter.[16] Zander wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis «unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft» und zu «drei Jahren Verlust des Aktivbürgerrechtes» verurteilt.[17] Sechs Wochen nach diesem auch im Ausland stark beachteten Prozess begann der Zweite Weltkrieg.

Im September 1940 wurde Zander aus der Haft entlassen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Schweiz in einer innenpolitischen Krise. Nach der ängstlichen und wenig demokratischen Radioansprache des Bundespräsidenten Marcel Pilet-Golaz anlässlich des Waffenstillstandes zwischen Deutschland und Frankreich vom 25. Juni 1940 und nach einigen ähnlichen Stellungnahmen von Seiten der Regierung schien es eine Weile, als ob die Schweiz, die seit dem Fall Frankreichs ganz von den Achsenmächten eingeschlossen war, ihre Haltung der wehrhaften Neutralität aufgeben und ihr Verhältnis zu Deutschland offiziell neu definieren werde. Erst im Verlauf des Herbstes, nach teilweise massiver Kritik an diesem opportunistischen Kurs von Seiten des Militärs und der Öffentlichkeit ging die Regierung wieder auf grössere Distanz zu den nationalen Erneuerern, welche ihrerseits erneut versuchten, ihre Kräfte zu bündeln. Als Ergebnis dieser Bemühungen schloss sich der Bund treuer Eidgenossen mit einigen weiteren rechtsextremen Gruppierungen am 22. Oktober 1940 der «Nationalen Bewegung der Schweiz» an, die danach von Alfred Zander, Ernst Hofmann und Max Keller geleitet wurde.[18] Zander, Hofmann und Keller hofften, sich als Vertreter einer legalen politischen Partei von jetzt an quasi offiziell an der Neugestaltung der Schweiz beteiligen zu können, doch bereits einen Monat später, am 19. November 1940 verbot der Bundesrat die neu geschaffene Partei. Der Spielraum für die rechtsradikale Szene der Schweiz wurde enger.

Im Frühjahr 1941 beteiligte sich Zander noch einmal an einer grösseren Aktion. Er half bei der Verbreitung eines vermutlich von ihm verfassten «Neuen Bundesbriefes». Dieser Brief war «nach dem Vorbild des ebenfalls in Stille und Verborgenheit – auf dem Rütli – bekräftigten ersten Bundes der Eidgenossen ein stilles Erkennungszeichen der Schweizerischen Erneuerer, die 1941 keine Möglichkeit mehr hatten, in der Presse, in Versammlungen oder mit Flugblättern politisch zu wirken.»[19] «Der Bundesbrief von 1941», so teilen seine Verfasser ihren Leserinnen und Lesern mit, «soll den Völkern Europas bekunden, dass das Schweizer Volk in allen seinen Stämmen die Zeichen der Zeit verstanden hat, und dass es aus freiem schöpferischem Entschluss mitarbeiten will an der Gestaltung einer grossen europäischen Zukunft.»[20]

Mittlerweile war das Risiko einer erneuten Verhaftung so gross geworden, dass Zander beschloss, seine politische Arbeit in Deutschland fortzusetzen. Er verliess die Schweiz am 24. Mai 1941 mit einem Flugzeug, welches ihn von Dübendorf nach München brachte.

Propagandaarbeit im Rahmen des BSG

In Deutschland führte Zander seine politische Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit im Rahmen von Vortragstourneen und als Publizist und Journalist scheinbar ohne Unterbruch fort. Seine organisatorische Basis war jetzt der «Bund der Schweizer in Grossdeutschland», BSG, eine der beiden auslandschweizerischen Erneuerungsbewegungen, welche sich damals – ohne grossen Erfolg – um die circa 40'000 im Reich lebenden Schweizerinnen und Schweizer bemühten.[21] Ausserdem engagierte er sich als «Abteilungsleiter» in der Bundesleitung des «Volksbundes für das Deutschtum im Ausland», VDA.[22] Das Ziel seiner Arbeit war die Eingliederung der Schweiz in eine germanische Föderation unter Führung Deutschlands. «Es muss alles getan werden», so Zander dazu in einem Rundbrief des BSG, «damit ein grosser Teil der im Reiche lebenden Eidgenossen im Geiste des Nationalsozialismus und des Neuen Europa geschult wird. Hunderte von ihnen können später in der Heimat beim Aufbau einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zum wertvollen Einsatz kommen.»[23]

Am 20. Februar 1942 nahm Zander Wohnsitz in Berlin-Schöneberg. Im April desselben Jahres verheiratete er sich mit Erna Anna Weiland, und im folgenden Februar kam ihr Sohn Rainer zur Welt. Zander war bei der Schweizer Botschaft in Berlin, wo er auch seine Militärpflichtersatzsteuern bezahlte, offiziell angemeldet. 1942 erschien in Berlin die zweite erweiterte Auflage seines Buches über das «Verhältnis der Eidgenossenschaft zum Reich», und im Februar 1943 finden wir ihn auf einer von der «Germanischen Leitstelle in Berlin» zusammengestellten Liste, welche die Namen der in der Schweiz im Falle einer Invasion einzusetzenden Regierung enthielt.[24]

Natürlich ging die politische Arbeit auch jetzt nicht ohne persönliche und ideologische Konkurrenz- und Grabenkämpfe und die unzähligen dazu gehörenden Sitzungen und Besprechungen ab: Namen wie Ernst Leonhard, Max Keller oder Franz Burri und Franz Riedweg – prominente Schweizer Nationalsozialisten, die wie Zander oft erst seit kurzem in Deutschland arbeiteten – tauchen in den einschlägigen Akten und der Fachliteratur immer wieder auf. Mit der Gründung des «Bundes Schweizer Nationalsozialisten» schien es den deutschen Nationalsozialisten im Herbst 1944 endlich gelungen, die verschiedenen exilschweizerischen Erneuerungsbewegungen in einer einheitlichen Organisation zusammenzufassen, aber, so Neulen 1985, «zu diesem Zeitpunkt hatten die Schweizer Frontisten im Reich anderes zu tun, als politische Kampagnen zu führen. Sie standen an der Front.»[25] Die «Front», das war für Alfred Zander die Waffen-SS, in die er am 30. August 1943 eingetreten war, um jetzt in Uniform und mit der Waffe in der Hand für die arische Erneuerung Europas zu kämpfen. Zander, SS-Nummer 487758[26] übersiedelte in das elsässische Ausbildungslager Sennheim, wo er für die weltanschauliche Schulung der dort versammelten internationalen Kriegsfreiwilligen zuständig war.[27]

Umstrittene Ausbürgerung «in absentia»

Mit Datum des 30. August 1943, dem Tag seines Eintritts in die Waffen-SS, teilte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Zander mit, dass gegen ihn ein Ausbürgerungsverfahren eingeleitet worden sei. Grundlage für diesen Schritt bildete der Bundesratsbeschluss vom 18. Mai 1943, durch welchen der schweizerische Bundesrat – gestützt auf die ihm vom Parlament zu Beginn des Krieges übertragenen besonderen Vollmachten – die Möglichkeit geschaffen hatte, Schweizer, die im Ausland gegen die Schweiz aktiv waren, per Administrativverfahren auszubürgern. Es war ein Entschluss, der aus heutiger Sicht wohl mit Recht als problematische Überreaktion des Bundesrates bezeichnet werden kann – eine Überreaktion, die ihren innenpolitischen Zweck vielleicht durchaus erreichte, indem die Regierung mit dieser Abgrenzung nach rechts gegenüber der Öffentlichkeit eine Klarheit der Gesinnung demonstrierte, welche sie nach Meinung vieler sonst allzu oft vermissen liess. Rechtlich bedeuteten diese Ausbürgerungen jedoch eine bedenkliche Annäherung an den in den faschistischen Nachbarstaaten praktizierten Umgang mit politisch missliebigen Elementen, wie Nationalrat Walter Muschg, einer der wenigen Kritiker dieser Massnahme, im September 1943 feststellte.[28]

Zander wandte sich umgehend gegen die Art und Weise seiner Ausbürgerung. Mit Datum vom 15. September 1943 bat er darum, «bei der hiesigen Vertretung der Schweiz in das sogenannte Beweismaterial», Einsicht nehmen zu dürfen, um in der Angelegenheit schriftlich Stellung beziehen zu können. Im Übrigen gab er seinem Befremden Ausdruck, dass man es offenbar nicht für notwendig gehalten habe, ihn «noch vor Einleitung eines solch schwerwiegenden Verfahrens» zu einer Aussprache in die Berliner Gesandtschaft, bei welcher er ordnungsgemäss angemeldet sei, einzuladen. In Bern beschloss man daraufhin, auf eine weitere Korrespondenz mit ihm zu verzichten, da die Gründe seiner Ausbürgerung ja auf der Hand lägen.[29] Stattdessen stellte man Zander – mit Zustimmung seiner Heimatgemeinde und des Heimatkantons – den mit dem Datum des 18. November 1943 versehenen Ausbürgerungsentscheid zu.[30]

Am 7. Januar 1944 focht Zander den Entscheid in einem an den Bundesrat gerichteten Rekursbegehren an, weil man ihn um eine Stellungnahme gebeten habe, ohne ihm mitzuteilen, was im Einzelnen gegen ihn vorgebracht werde und ohne auf seinen Wunsch nach Akteneinsicht einzugehen oder ihm wenigstens Gelegenheit für eine mündliche Stellungnahme zu geben. «Selbst ein Gemeinverbrecher», so Zander in seinem Rekursbegehren, «bekommt zu wissen, was denn eigentlich gegen ihn vorliegt.» Als Ausbürgerungsgrund sei sein Engagement im BSG genannt worden, wobei ihm nicht klar sei, wo da das Vergehen liege. Schliesslich stellte Zander fest, wenn schon ausgebürgert werden solle, dann entweder «nach strengen rechtlichen Grundsätzen mit Beweisen und Verteidigungsmöglichkeiten» oder offen und ehrlich durch einfache Staatsbeschlüsse wie Deutschland es mit den Juden getan habe. Eine «Rechtskomödie» sei hier jedenfalls nicht am Platz.[31] – Der Bundesrat, der sich durch Zanders Argumentation nicht überzeugen liess, lehnte dessen Rekursbegehren am 21. April 1944 ab. – Zugleich mit der Ausbürgerung wurde gegen Zander eine unbefristete Einreisesperre verhängt. Als Reaktion auf seine Ausbürgerung beantragte Zander nun die deutsche Staatsbürgerschaft, welche ihm – gestützt auf einen Führererlass vom 19. Mai 1943 (man beachte das Datum) – im Oktober 1944 gewährt wurde. Im Gegensatz zu einigen der 29 Personen, welche während des Krieges im Rahmen eines ähnlichen Administrativverfahrens ausgebürgert wurden[32], verzichtete Zander später darauf, einen Wiedereinbürgerungsantrag zu stellen, obschon die Behörden solchen Anträgen in den 1960er- und 1970er-Jahren in der Regel stattgaben.[33]

Kriegsende

Im Verlauf des Herbstes 1944 geriet der Betrieb im Ausbildungslager Sennheim, wo Zander immer noch tätig war, offenbar mehr und mehr durcheinander. Alfred Zander wurde dem Stab des Ausbildungs- und Ersatz-Bataillons der Waffen-Grenadier-Brigade der SS «Charlemagne» zugeteilt.[34] «Im Oktober 1944, bei Näherrücken der Front», so Oertle zusammenfassend über die Einsätze dieser Einheit während der letzten Kriegsmonate, «kam das Bataillon ins pommersche Greifenberg und im Februar danach auf den Truppenübungsplatz Wildflecken in der Rhön. Dort erneut alarmiert, sollte es im Raum Neustrelitz, eine Autostunde nördlich von Berlin, zu den Resten der ‹Charlemagne› stossen. Der zuweilen auch als ‹Kampfgruppe Hersche› oder ‹Regiment Hersche› bezeichnete Verband gelangte jedoch, infolge des sowjetischen Vormarsches in Mitteldeutschland, nicht mehr in den Versammlungsraum. Nach 5wöchiger Odyssee in entgegengesetzter Richtung strandete das ad-hoc-Regiment oder was davon noch übrig blieb, schliesslich in Oberbayern und ergab sich den Amerikanern.» In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 wurde Heinrich Hersche, wie Zander ein Kriegsfreiwilliger aus der Schweiz, der noch am 1. Mai 1945 zum Standartenführer befördert worden war, mit den ihm verbliebenen Männern einschliesslich seinem Adjutanten Zander entwaffnet.[35]

Als Landesverräter vor Gericht

Am 20. Juli 1945 beschloss der schweizerische Bundesrat die Durchführung eines Bundesstrafverfahrens «gegen die in das SS-Hauptamt eingegliederten Schweizer, gegen die Schweizer, die mit ihnen als Verbindungsleute in Beziehung standen und gegen die Schweizer, denen auf Grund der deutschen Amtsakten oder Ermittlungsergebnisse Dienstleistungen im Interesse Deutschlands zur Last fallen.» Die Eröffnung dieses Strafverfahrens wurde vor allem mit den zahlreichen Informationen über entsprechende Aktivitäten begründet, welche die schweizerische Bundesanwaltschaft seit Kriegsende erhalten hatte. Am 5. September 1945 wurde beschlossen, die Voruntersuchungen zu diesem Verfahren auch auf Alfred Zander auszuweiten.[36] Im Rahmen von sechs von der Öffentlichkeit stark beachteten so genannten «Landesverräterprozessen» wurden zwischen 1946 und 1948 schliesslich 102 Schweizer Nationalsozialisten angeklagt; 99 von ihnen wurden zu teilweise massiven Freiheitsstrafen verurteilt.[37] Zanders Fall wurde im Rahmen des zweiten, vom 19. Mai bis 4. Juni 1947 in Zug stattfindenden Prozesses verhandelt. Zusammen mit Otto Lienhard, Hans Emil Frei und über 30 weiteren Personen wurde er wegen «Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft» angeklagt und am 4. Juni 1947 in Abwesenheit zu 11 Jahren Zuchthaus und Ehrverlust verurteilt, obschon Zanders Pflichtverteidiger Fürsprech von Dach die Schuld seines Mandanten nicht für erwiesen hielt, «Weil kein Zeuge habe beweisen können, dass er [Zander, M.N.] den Anschluss wollte.»[38] Das Strafmass entsprach den verhältnismässig strengen Urteilen, die im Rahmen dieser Prozesse gefällt wurden.[39]

Schon damals wurden diese Prozesse von einigen Kritikern als Ablenkungsmanöver bezeichnet, bei dem es vor allem darum ging, die öffentliche Aufmerksamkeit von den wegen ihrer Kooperationsbereitschaft mit Deutschland kompromittierten Eliten des eigenen Landes abzulenken, und dem nach dem Krieg auch in der Schweiz laut gewordenen Ruf nach politischer «Säuberung» ein Ventil zu geben. So stellte der Vorwärts am 4. Juni 1947 beispielsweise fest, dass es im Rahmen des Zuger Prozesses einer «verlegenen Bundesjustiz» offenbar nur darum ging, «einige kleine Schelme zu hängen, um die eigentlichen schweren Nummern nicht durchleuchten zu müssen».[40] Es ist eine Kritik, die, wie ein genauerer Blick auf den Fall Zander zeigt, nicht unberechtigt ist.

Zunächst fällt das seltsame Desinteresse auf, mit welchem die schweizerischen Behörden Ende Dezember 1945 auf die Nachricht reagierten, dass Zander nicht tot sei, sondern sich irgendwo in Deutschland aufhalte. Damals hatte die Genfer Lebensversicherung der eidgenössischen Polizeiabteilung mitgeteilt, dass sie eine Anfrage «eines in Deutschland lebenden Schweizers, Dr. Alfred Zander-Weiland, früher Lehrer in Kaltbrunn, SG» erhalten hatten und nun gerne wüssten, ob es sich bei diesem Herrn um einen ausgebürgerten Schweizer handle. In der Antwort vom 28. Dezember 1945 wurde bestätigt, dass es tatsächlich einen ausgebürgerten Dr. Alfred Zander-Weiland gebe, von dem man seit 1944 nichts mehr gehört habe. Man wisse jedoch nicht, ob dieser Zander mit dem von der Versicherung genannten identisch sei.[41] Obschon das Verfahren gegen Zander zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen war, war man an dem Hinweis aus Genf offenbar nicht sonderlich interessiert. Hinweise auf irgendwelche Nachforschungen in der Sache gibt es jedenfalls keine. Hätte man nachgeforscht, so hätte man festgestellt, dass Zander bereits am 27. November 1945 aus dem amerikanischen Internierungslager 73 entlassen worden war, um Anfang Februar 1947 jedoch ein zweites Mal interniert zu werden.[42]

Als Zweites fällt auf, dass man trotz der Schwere der Anklage offenbar keinen besonderen Wert auf Zanders persönliche Teilnahme an seinem Prozess legte. Zanders Sohn berichtet im Gegenteil, dass sein Vater damals an dem Prozess habe teilnehmen wollen, dass man ihm aber die Einreiseerlaubnis verweigert habe.[43] Auch wenn sich diese Aussage auf Grund der von mir durchgesehenen Akten im Schweizerischen Bundesarchiv nicht bestätigen lässt, so findet sich in diesem Material doch auch kein Hinweis darauf, dass man behördlicherseits irgendetwas unternommen hätte, um Zanders Erscheinen vor Gericht zu ermöglichen oder gar zu erzwingen. Wie Thomas Knellwolf in der bis heute einzigen detaillierten Untersuchung zu den Landesverräterprozessen am Beispiel Riedwegs und einiger weiterer Angeklagter unlängst nachgewiesen hat, war man innerhalb der Behörden in dieser Frage damals tatsächlich geteilter Meinung; alles in allem sah man es jedoch offenbar lieber, wenn die im Ausland befindlichen Angeklagten – laut Knellwolf 41 von insgesamt 102 – nicht an ihren Prozessen teilnahmen.[44] Davon, dass sich die Behörden im Vorfeld des Zuger Prozesses um die Auslieferung der im Ausland befindlichen Angeklagten bemüht hätten, wie das Volksrecht am 30. Mai 1947 als Antwort auf eine entsprechende Kritik des Vorwärts vom 28. Mai 1947 schrieb, kann angesichts der vorhandenen Akten jedenfalls keine Rede sein.[45] Im Schlussbericht des Bundesrates über die Landesverräterprozesse heisst es zu diesem heiklen Punkt lediglich: «Für das Bundesstrafgericht bestand kein Grund, die Beurteilung der abwesenden Angeklagten, insgesamt 35, aufzuschieben [...].»[46]

Ebenso gering wie das Interesse an der Teilnahme an seinem Prozess war schliesslich auch das Interesse an Zanders späterer Auslieferung. Als die schweizerische Bundesanwaltschaft von Seiten der US-Militärregierung zehn Wochen nach Zanders Verurteilung überraschend angefragt wurde, ob die Schweiz die Auslieferung des in amerikanischer Gefangenschaft befindlichen Alfred Zander wünsche, teilte man dem Konsulat in Stuttgart, über welches die Anfrage nach Bern gelangt war, jedenfalls noch am selben Tag mit: «Dr. Zander ist aus der Schweiz ausgebürgert. Wir werden kein Auslieferungsbegehren stellen.»[47]

Diese schnelle Antwort bildet den Abschluss einer Geschichte, die an das Rechtsempfinden eines juristischen Laien einige Anforderungen stellt: Zuerst wird Zander wegen seiner gegen die Schweiz gerichteten Aktivitäten (in einem fragwürdigen Schnellverfahren) das Bürgerrecht aberkannt, dann wird er wegen desselben Vergehens ein zweites Mal verurteilt, obschon er nach seiner Ausbürgerung deutscher Staatsbürger wurde. Man empört sich heftig, scheint den Prozess gegen ihn aber dennoch lieber in seiner Abwesenheit zu führen und am Vollzug der Strafe ist man ebenfalls nicht interessiert, obschon man ihn selbst verurteilt hat und die Behörden grundsätzlich verpflichtet sind, im Rahmen des Möglichen für den Strafantritt eines Verurteilten zu sorgen. Man begründet dieses Desinteresse damit, dass Zander ausgebürgert sei, eine Tatsache, die offenbar nicht ins Gewicht fiel, als es um seine Anklage ging.

Diese Ungereimtheiten bestätigen m. E. die von Neulen bereits 1985 geäusserte Vermutung, dass es bei den Landesverräterprozessen tatsächlich primär um ein politisch motiviertes Manöver ging, das vom Umstand ablenken sollte, «dass die Schweiz während der Jahre 1939–45 extensiv Wirtschaftskollaboration mit dem Reich betrieben und in den Jahren 1940/41 eine Phase vorsichtiger Annäherung an Berlin eingeleitet hatte».[48] Diese Annahme wird auch von Thomas Knellwolf bestätigt, der unter anderem darauf hinweist, dass man bereits im Vorfeld der Prozesse sicherstellen wollte, dass die Untersuchungen sich nicht in politisch «unzukömmlicher Weise» ausweiten würden, indem man von einer sehr engen Definition des Begriffes des Landesverrats («Verbindung des Täters mit einem fremden Gemeinwesen» zur «Gefährdung der Un­abhängigkeit») ausging. Man konzentrierte sich also auf Schweizer, welche im Ausland, das heisst vor allem in Deutschland, gegen die Schweiz aktiv geworden waren. Lediglich drei der 102 Angeklagten waren gemäss Knellwolf in der Schweiz wohnhaft gebliebene Frontisten.[49] Der viel grösseren Zahl der im eigenen Land für eine Anpassung an die neue Zeit eintretenden Vertreter der Schweizer Eliten blieb damit eine «Entnazifizierung» im Stile dieser Prozesse erspart. Dies entsprach im Übrigen der Haltung des Bundesrates gegenüber den Unterzeichnern der so genannten «Eingabe der Zweihundert», unter ihnen zahlreiche prominente Vertreter des Schweizer Bürgertums, die vom Bundesrat im Herbst 1940 eine Neugestaltung seiner Politik und ein stärkeres Eingehen auf deutsche Wünsche und Empfindlichkeiten verlangt hatten. Der Bundesrat hatte die 173 Namen Anfang 1946 zwar veröffentlicht (und damit eine heftige Diskussion ausgelöst), sah jedoch keine Notwendigkeit einer weitergehenden, das heisst gegebenenfalls auch gerichtlichen Aufarbeitung der gegen diese Art von «Landesverrätern» erhobenen Vorwürfe.[50] Ähnlich war die Haltung gegenüber den im BSG organisierten Auslandschweizern, die durch den Zuger Prozess ebenfalls in toto «reingewaschen» worden seien, wie das Volksrecht am 30. Mai 1947 kritisiert hatte.[51]

Verdrängen, vergessen. Unaufgelöste Widersprüche

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft kehrte Zander zu seinem ursprünglichen Beruf und zu seiner früheren Liebe zur Reformpädagogik zurück. Von 1948 bis 1952 arbeitete er als Lehrer an der Werkschule von Albert Merz – einer reformpädagogischen Gründung aus der Weimarer Zeit. Nach der Veröffentlichung eines weiteren Buches über Pestalozzi[52] wurde er als Leiter an das in der Nähe Giessens gelegene Landschulheim Burg Nordeck – ebenfalls eine reformpädagogische Gründung der 1920er-Jahre – berufen. Nach seiner Pensionierung im Jahre 1970 liess sich Alfred Zander, der aufgrund der 25jährigen Vollstreckungsverjährung seiner Zuchthausstrafe bis 1972 nicht in die Schweiz einreisen durfte, mit seiner Frau in Konstanz nieder, wo er am 12. Oktober 1997 im Alter von 92 Jahren starb.

In einem 1999 im Jahrbuch des Landschulheims Burg Nordeck erschienenen Nachruf schrieb der Vorsitzende des dortigen Trägervereins über die berufliche Laufbahn des in Nordeck noch immer als Pestalozziforscher geehrten ehemaligen Schulleiters zusammenfassend in verblüffend naiver Weise: «1924 erwarb er das ‹Lehrerpatent› und hat 1931 mit einer weithin beachteten Arbeit über ‹Leben und Erziehung in Pestalozzis Institut zu Iferten› zum Dr. phil. promoviert. Es folgten zahlreiche Publikationen über Erziehungsfragen in verschiedenen Zeitschriften, bevor er 1952, im Jahre seiner Berufung nach Nordeck, eine weitere Arbeit über ‹Pestalozzis Geistiges Testament› veröffentlichte.»[53] Diese für die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte typische, mittlerweile allerdings leicht anachronistisch wirkende Verdrängung ist als letzte Episode eines reichen Lebens so beispielhaft wie Zanders Doppelkarriere als Herausgeber eines antisemitischen Hetzblattes und als Stipendiat des Anthropologischen Instituts während der 1930er-Jahre oder das in seinem Leben bestehende Nebeneinander von reformpädagogischer Sensibilität und politischer Intoleranz. In all diesen Bereichen liefert Zanders Biographie interessantes exemplarisches Material. Dabei geht es allerdings um Themen, die bereits oft beschrieben und dokumentiert wurden. Die Rekonstruktion seiner Ausbürgerung im Jahre 1943 und die Umstände seiner Verurteilung im Rahmen des zweiten Landesverräterprozesses Anfang Juni 1947 führen jedoch in Bereiche der Schweizer Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, deren gründliche Bearbeitung bis heute noch aussteht. Dabei würden sich, wie der Fall Zander zeigt, entsprechende Forschungen durchaus lohnen.

[1] Zu diesen und den folgenden biographischen Angaben siehe, soweit nichts anderes vermerkt, den undatierten Lebenslauf (1950er-Jahre), Original im Archiv des Landschulheims Nordeck, D–35469 Allendorf bei Giessen.

[2] Zum pädagogischen Profil von Hof Oberkirch vgl. u. a. Hans-Ulrich Grunder, Das schweizerische Landerziehungsheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1987, 81f.; Zanders Ein- und Austritt aus Hof Oberkirch sind in der Chronik der Hofzeitung Nr. 35, 12. Jg., Dezember 1925 und Nr. 44, Dezember 1928 vermerkt.

[3] Als gute Übersicht vgl. u. a. Bruno Schonig, «Reformpädagogik», in Diethart Kerbs und Jürgen Reulecke (Hg.), Handbuch deutscher Reformbewegungen 1880 bis 1933, Wuppertal 1998, 319–330.

[4] Alfred Zander, «Erziehen. Eine pädagogische Besinnung», in Schweizer Erziehungsrundschau, Zürich, Juni 1932, 63f., Zitate 64, 65.

[5] Vgl. Anm. 1.

[6] Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz 1930–1945, Zürich 1969; sowie Alice Meyer, Anpassung oder Widerstand. Die Schweiz zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus, Zürich 1965, besonders 42f.

[7] Beat Glaus, Die nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung 1930–1940, Zürich 1969.

[8] Peter Kamm, Paul Häberlin. Leben und Werk, Bd. 2, Zürich 1981, 184.

[9] Zu Ziel und Entwicklung des Anthropologischen Instituts und zum Konflikt Zander–Häberlin vgl. Peter Kamm (wie Anm. 8), besonders 43f. sowie Jearmine Luczak (Hg.), Paul Häberlin – Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908–1960, Basel 1997, 59f.

[10] Vgl. Jearmine Luczak (wie Anm. 9), 59, sowie zum Thema allgemein Konrad Zollinger, Frischer Wind oder faschistische Reaktion. Die Haltung der Schweizer Presse zum Frontismus 1933, Zürich 1991 und Aram Mattioli (Hg.), Intellektuelle von Rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918–1939, Zürich 1995.

[11] «Verhörungsprotokoll» Zürich, 1. 12. 1938, Schweizerisches Bundesarchiv (BAR), E 4320 (B) 1970/25 Bd. 69, Dossier C.2.564 (Zander, Alfred/ 1938–53).

[12] Alfred Zander, Erziehung, Schule und Volksgemeinschaft, Frontverlag, Zürich 1934, Zitate 2 und 14.

[13] «Verhörungsprotokoll» (wie Anm. 11).

[14] Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939–1945, Bern 1946, 27.

[15] Bundesanwaltschaft gegen Zander und Consorten, Anklageschrift, undatiert (ca. Juni 1939), in: Dossier «Politische Parteien», «Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung. Alfred Zander», BAR, E 2001 (D) -/3, Bd. 38, A.45.14.1; sowie Bericht des Bundesrates 1946 (wie Anm. 14), 27.

[16] Neue Zürcher Zeitung, 26. 11. 1952.

[17] Vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichtes vom 14. 7. 1939 in den Akten der Bundesanwaltschaft, BAR, E 4320 (B) 1970/25 Bd. 69, Dossier C.2.564 (wie Anm. 11), sowie die Unterlagen im Dossier «Politische Parteien» (wie Anm. 15).

[18] Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verfahren gegen nationalsozialistische Schweizer wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft, in Bundesblatt 1948, Bd. III, 997f.

[19] Horst Zimmermann, Die Schweiz und Großdeutschland. Das Verhältnis zwischen der Eidgenossenschaft, Österreich und Deutschland 1933–1945, München 1980, 211–12.

[20] Horst Zimmermann (wie Anm. 19), 210.

[21] Hans Werner Neulen, An deutscher Seite. Internationale Freiwillige in Wehrmacht und Waffen-SS, München 1985, 176, sowie Bericht des Bundesrates 1948 (wie Anm. 18).

[22] Auskunft der zentralen Nachweisstelle des Bundesarchivs Aachen in einem Brief an den Verfasser vom 27. 1. 2000.

[23] Zitiert nach Alice Meyer (wie Anm. 6), 212–213.

[24] Bericht des Bundesrates 1948 (wie Anm. 18), 1028.

[25] Hans Werner Neulen (wie Anm. 21), 178.

[26] Vgl. Anm. 22.

[27] Vgl. Hans Werner Neulen (wie Anm. 21), Zitat 179; sowie Vincenz Oertle, «Sollte ich aus Russland nicht zurückkehren ...». Schweizer Freiwillige an deutscher Seite 1939–1945, Zürich 1997.

[28] Walter Muschg, «Gegen die Ausbürgerung. Votum im Nationalrat», Der Aufbau, 1. und 8. 10. 1943, wieder abgedruckt in Walter Muschg, Pamphlet und Bekenntnis, Olten/Freiburg 1968.

[29] Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, Schreiben von Dr. Hohl (Chef der Polizeiabteilung des EJPD) an Dr. Ruth vom 27. 9. 1943, BAR, E 4264 (-) 1985/57 Bd. 44 M3052.

[30] BAR, E 4264 (-) 1985/57 Bd. 44 M3052.

[31] BAR, E 4264 (-) 1985/57 Bd. 44 M3052.

[32] Alice Meyer (wie Anm. 6), 222, Anmerkung 74.

[33] Vgl. zur Frage der Aus- und Wiedereinbürgerung die Akten im entsprechenden Dossier der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, BAR, E 4264 (-) 1985/57 Bd. 44 M3052.

[34] Vgl. dazu u. a. die Auskünfte der zentralen Nachweisstelle des Bundesarchivs Aachen in einem Brief an den Verfasser vom 27. 1. 2000 sowie die dort ermittelten Dokumente, insbesondere den «Tagesbefehl Nr. 1045 Reichsführer SS, Chef des SS Hauptamtes Berlin Grunewald» vom 12. 1. 1945.

[35] Vincenz Oertle (wie Anm. 27), 305 und 309.

[36] Handakten von Staiger, BAR, 4001 (C), Aktenzeichen Nr. 1 «Delikte gegen den Staat 1947», Vorsteher und Departementssekretareat 1941–1951.

[37] Vgl. dazu den Bericht des Bundesrates 1948 (wie Anm. 18), sowie Thomas Knellwolf, Landesverräter. Schweizer Nationalsozialisten vor Gericht 1946–48, Lizenziatsarbeit an der Universität Zürich, unveröffentlichtes Typoskript, Zürich 2002.

[38] «Vom Bundesratsvorzimmer ins Zuchthaus. Wie man in Zug die BSG-Nazis reinwaschen will», Volksrecht, 30. 5. 1947.

[39] Zu den damaligen Urteilen und den Urteilsbegründungen vgl. Verfahren des Bundesstrafgerichts in Sachen Schweizer Bundesanwaltschaft gegen Hans Emil Frei und 36 Mitangeklagte, 19. 5. bis 4. 6. 1947 in Zug, ca. 150 Seiten, Kopie in den Handakten von Staiger (wie Anm. 36).

[40] Vorwärts, 4. 6. 1947.

[41] Schreiben der Genfer Lebensversicherung an das EJPD vom 19. 12. 1945 und Antwort von Dr. Hohl vom 28. 12. 1945, BAR, E 4264 (-) 1985/57 Bd. 44 M3052.

[42] Vgl. Anm. 22.

[43] Telefoninterview mit Rainer Zander, 14. 2. 2000.

[44] Thomas Knellwolf (wie Anm. 37), besonders Kap. 6.

[45] Volksrecht, 30. 5. 1947 (wie Anm. 38).

[46] Bericht des Bundesrates 1948 (wie Anm. 18), 1067.

[47] Schweizerische Bundesanwaltschaft an das Schweizerische Konsulat Stuttgart, 15. 8. 1947, BAR, E 4320 (B) 1970/25 Bd. 69, C 2.564.

[48] Hans Werner Neulen (wie Anm. 21), 179–80.

[49] Thomas Knellwolf (wie Anm. 37), Kap. 6.

[50] Vgl. dazu Gerhard Waeger, Die Sündenböcke der Schweiz. Die Zweihundert im Urteil der geschichtlichen Dokumente 1940–1946, Olten 1971; sowie kritisch dazu Paul Schmid-Amman, Unterwegs von der politischen zur sozialen Demokratie. Lebenserinnerungen, Zürich 1978, 110f.

[51] Volksrecht, 30. 5. 1947 (wie Anm. 38).

[52] Alfred Zander, Pestalozzis geistiges Testament, Heidelberg 1952.

[53] Wolfgang Spitze, «Nachruf auf Alfred Zander» in Die Burg 1995 bis 1999, Jahrbuch des Landschulheims Burg Nordeck, Burg Nordeck/Giessen, o. J. (1999), 6–7.