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An Maja O., 19. Mai 2017, Basel

Weisst du, ich habe nur keine Email-Adresse gehabt, sonst hätte ich dir emailnässig geschrieben, denn - das ist wirklich praktisch! - auch blinde  Menschen können den Brief zwei oder hundert mal lesen, ohne immer wieder zu  fragen, 'kannst du mir den Brief nochmals vorlesen!' Also es bewegt sich auch im Lande der Blinden etwas! Allerdings ich musste auch wieder Schreiben und Lesen Lernen. Ich nehme an, da ich nicht mehr sprechen konnte, war auch schreiben nicht mehr möglich. Das geht wieder viel besser, wenn auch  nicht perfekt wie vor dem Hirnschlag. - Sprechen und schreiben geht also  einigermassen, aber Laufen ist viel schlechter geworden, weil ich 1. in der  Dusche umgefallen bin und mir das rechte Bein gebrochen habe, und 3/4 Jahre  später habe ich mir auch noch das linke Bein gebrochen, weil ich Epilebsie  gekriegt habe. Da kommt es schon mal vor, dass man ein Bein bricht. Ich war  damals ohnmächtig und ich weiss nichts davon; im UNI-Spital bin ich wieder  aufgewacht. Das war vor zwei Jahren. Das linke Bein ist wieder fit, aber das  rechte Bein ...

Ich laufe noch, aber ich laufe im Schneckentempo. Vor dem Sturz in der  Dusche konnte ich wieder 'Stocklaufen', du weisst noch was 'Stocklaufen'   bedeutet? Nein? Egal, das kann ich dir ein anderes Mal erklähren, wenn es  überhaupt ein anderes mal gibt. Mh, ich glaube, ich erklär's dir besser  jetzt: Ich konnte wieder alleine auf die Strasse, zwar hinkend und nicht  mehr so schnell wie vor dem Hirnschlag, aber immerhin, und nachdem ich in  der Dusche umgefallen war, da ging zuerst nichts mehr. Ich war wieder im  Rollstuhl. Jetzt laufe ich, aber eben: gggaaannnzzz lllaaannngggsssaaammm  und immer mit Begleitung.

Also ich könnte dir noch einiges aus der 'Krankengeschichte' erzählen, aber  eben: Es nützt ja nichts mehr! Wenn ich schon weiter leben will / muss, dann  möchte ich eher WIRGLICH LEBEN und nicht wie ein verschüchtertes Huhn das  Ende abwarten. Also habe ich den Verein DarsiLaMano wieder aktiviert, und  ich gehe wieder in den Kongo, WAHRSCHEINLICH, zwar noch viel mehr  'behindert' als vorher,  aber wir haben nur EIN Leben und das will auch ich leben! - Ich bin auch  immer wieder deprimiert und mutlos, aber im Grunde war das immer wieder der  Fall, vielleicht schon im Kindergarten! Ich habe deinen Brief gelesen und es war  schön, wieder einmal von dir zu hören!

Mein Vater lebt noch, und zwar recht gut. Er hat sich 1992 von 'Mimi'  getrennt. Mimi oder Anne-Marie hat gelitten, aber sie hat auch immer wieder  gesagt, 'er muss sein Leben leben.' Sie sind 1979 von Basel auf den  Hasliberg gezogen; 1992 ist Hans - mein Vater - wieder nach Basel gekommen,  und meine Mutter zehn Jahre später. Meine Mutter starb 2004, nachdem sie,  meine Mutter und mein Vater, eine Woche vorher noch 10 Tage in den Ferien  waren. Hans Näf, also mein Vater hat eine 27 Jahre jüngere Partnerin  gefunden (oder besser sie haben sich gefunden). Jetzt leben sie ganz  eindrächtig zusammen. Einiges machen sie zu zweit, aber ganz viel machen sie  unabhängig von einander. Hans schläft mehr, das furmt ihn, aber er sagt  auch, 'das ist einfach so'.

Thomas, mein älterer Bruder, und seine Frau leben vor allem in Zweisimmen.  Allerdings kürzlich kam ein erstes Enkelkind auf die Welt, also sieht man  sie jetzt wieder mehr in Basel, wo der ältere Sohn und seine Frau leben. - Werner oder Mäni - ja, man vergisst nicht so  schnell, obwohl 'Mäni' längst vorbei und begraben ist! - und Miri leben in  Arlesheim. Die zwei Töchter und der Sohn sind ausgezogen, aber Kinder haben  sie noch nicht, jedenfalls ich merke noch nichts davon.

Und sonst? Wie geht  es mir? Ja, wie geht  es mir? - Naja, soso lala, ich '.  hadere immer wieder. 'Und wieso gerade ich? Und so plötzlich!' Du warst ja dabei, wie ich - auch verhältnismässig schnell - blind geworden bin. Und jetzt, wieso gerade ich? Wenn man einen Grund wirglich braucht, dann bitte, aber letztlich bleibt nur, annehmen oder hadern. Wenn du ein bisschen Zeit hast, dann lies auf meiner Webseite mehr, vorallem 'Reisen, Bauen und Lehrer sein'. Das waren schöne Zeiten, aber ich hoffe, die Zeiten werden wieder kommen, vielleicht anders, aber auch so erfüllt und spannend wie vorher!

Ganz herzliche Grüsse,

Martin