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SCHULE SELBER MACHEN! 20 JAHRE FREIE VOLKSSCHULEN UND VERWANDTE INITIATIVEN

Kleine, gemeinsam gestaltete und geführte Schulen, das war der Traum der Eltern und LehrerInnen, die im September 1972 den Verein freie Volksschule im Kanton Zürich gründeten. - "Endlich!", Zeitschrift der Vereinigung Freier Schulen der Schweiz, 2. Jg., Nr.3, September 1992, Martin Näf, Basel

 

AUFBRÜCHE - 1972 BIS 74

Ende Januar 1972 ersuchte der Elternverein Illnau-Effretikon den Erziehungsrat des Kantons Zürich um die Bewilligung zum Betrieb einer Privatschule. Am 24. April 72 wurde die Schule mit 7 Kindern eröffnet. Sie trug den programmatischen Namen "A1" -Alternativschule 1!

Nach einigen Inseraten in der Tagespresse trafen sich im Frühjahr desselben Jahres im Landhuus Seebach in Zürich gegen 200 Menschen, um über die Gründung weiterer Alternativschulen zu diskutieren. Chaotisch sei es gewesen, erzählen G. und A. Latzel. Diejenigen, die zu Wort kamen, fluchten meistens zuerst einmal ausgiebig über die unögliche Staatsschule. Was man nicht wollte, das schien klar. Was man wollte -, davon hatten die Wenigsten eine konkrete Vorstellung. Nach einigen Treffen war es klar, dass man so nicht weiterkommen würde, und man beschloss, sich in Regionalgruppen aufzuteilen: Linkes Zürichseeufer, rechtes Zürichseeufer und Zürich Nord. Dort habe dann die konkrete Arbeit begonnen: Klärung der Ideen und Anliegen, Entwicklung eines Schulkonzeptes, Kontaktaufnahme mit Behörden, Haussuche.

Auch in Genf bestand damals eine Gruppe von engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die eine "Schule der Selbsttätigkeit", eine "Ecole Active" gründen wollte. Da die Genfer Behörden an dem Projekt ebenso wenig Interesse zeigten wie die Behörden in Zürich, hatte man hier wie dort nach einigen fruchtlosen Vorstössen beschlossen, die Umsetzung der Idee selbst an die Hand zu nehmen und die Schule auf privater Basis zu verwirklichen. "Die Verhandlungen mit dem Staat schienen einfach zu kräfteaufreibend, zu sinnlos", erinnert sich Jean-Claud Bres, seit damals Lehrer an der Ecole Active Barigoul in Genf. Dabei war das Interesse der Öffentlichkeit auch in Genf gross: "Es war damals eine grosse Spannung in der Luft, eine richtige Aufbruchsstimmung. Damals, nach 68, gab es viel Optimismus und eine grosse Lust auf Veränderung. Wir haben ein paar Inserate gemacht und ein Treffen angekündigt, und schwups - unsere Schule war voll. Wir wollten die Schule ganz selber machen. Alle sollten beim Aufbau mit dabei sein! Basisdemokratie, das war damals die grosse Sache! Da sassen wir dann - 60 oder 80 Menschen - und haben geredet und geredet -Nächte lang! Anstrengend war das, aber auch toll!"

"LASST TAUSEND BLUMEN BLÜHEN!" - DIE GRÜNDUNG DER FVZ

Am 14. September 1972 gründeten einige AktivistInnen die Vereinigung "Freie Volksschule im Kanton Zürich" (FVZ). Schule selber machen - an Hand der eigenen Erfahrungen, der eigenen Ideen und Vorstellungen: das war die Grundidee der Vereinigung.

Nach kurzer Vorbereitung wurde im Frühjahr 1973 in Affoltern a.A., in Zürich-Zollikerberg, in Oberglatt und in Baden (später Mägenwil, heute Lenzburg) eine Freie Volksschule eröffnet. Zur selben Zeit nahm in Genf die Ecole Active Barigoul ihren Betrieb auf. Mit 72 SchülerInnen (inklusive Kindergarten) war sie die grösste der 6 neuen Alternativschulen. Sonst lagen die Zahlen zwischen 15 und 50 SchülerInnen pro Schule.

WIR HABEN RECHT WEIL WIR RECHT HABEN! - DIE SCHLIESSUNG DER A1

Im Mai 1973 verlangt der Erziehungsrat die Schliessung der inzwischen nach Winterthur umgezogenen A1 bis spätestens mitte Juni. Diverse Hinweise und eigene Untersuchungen hatten den Erziehungsrat zu diesem Schritt bewogen. Zudem war auch das Hochbauamt des Kantons Zürich von der Armseligkeit der Räumlichkeiten der A1 alarmiert und empfahl, sie hächstens als Provisorium zuzulassen. In der 20-seitigen Begründung des Erziehungsrates heisst es laut NZZ vom 29.5.73 u.a.: "Reformerische Ansätze sind in der Alternativschule 1 vorhanden; sie sind aber derart dilettantisch oder extrem ausgeführt, dass von einem brauchbaren, seriösen Schulversuch nicht gesprochen werden kann. Für einen Misserfolg dieses Schulversuches kann weder die Schulleitung noch die Elternschaft die Verantwortung tragen. Sicher ist lediglich, dass die Misserfolge schliesslich zu Lasten der Schulkinder gehen." Dass die Elternschaft mehrheitlich hinter der A1 steht beeindruckt die Regierung nicht, denn, so konnte man bereits 14 Tage zuvor in der aktuellen Beilage der Annabell lesen: "Obwohl die Elternversammlung die oberste Verantwortung für die Schule trägt, muss daran gezweifelt werden, ob sich die Mehrheit der Eltern tatsächlich ein zuverlässiges Bild davon machen kann, was in der Schule geschieht. (...) Dadurch, dass die Schüler keine Hausaufgaben haben und deshalb auch keine Hefte nach bringen, fehlt den Eltern gerade hier eine Kontrollmöglichkeit ...". "Man stellt uns als Trottel hin", äussern die Eltern gegenüber Annabell. "Gerade weil ich Verantwortung übernehmen wollte, habe ich meine Tochter hierhin gebracht." (Annabell Nr. 10, 16.5.73). - Nachdem der Elternverein der A1 und die Vereinigung "freie Volksschule im Kanton Zürich" beim Regierungsrat gegen diesen Beschluss Rekurs eingelegt hatten, erhielt die A1 eine vorläufige Betriebsbewilligung. Gleichzeitig gab der Regierungsrat bei Prof. Tuggener von der Uni Zürich ein neues Gutachten in Auftrag. Nach erhalt des Gutachtens wurde die definitve Schliessung der Schule auf Frühjahr 1974 angeordnet. Wenn die VertreterInne der A1 durch ihr undiplomatisches Auftreten und manche Ungeschicklichkeit auch mit zu der Schliessung ihrer Schule beigetragen haben mögen, so ist der Entscheid des Regierungsrates doch in Vielem typisch: Im Zweifelsfall entscheidet die Regierung, welche Schule verantwortet werden kann und welche nicht, da nützt aller Protest von Seiten der Eltern nichts.

In den noch bestehenden Schulen im Raum Zürich und in Genf begann der Enthusiasmus der ersten Monate einer gewissen Ernüchterung Platz zu machen. Die Verwirklichung einer repressionsfreien, jedem Kind offen stehenden, von allen Beteiligten gemeinsam gestalteten Schule erwies sich als schwieriger denn erwartet. Dazu kam der andauernde Kampf um die notwendigen Gelder, Probleme mit Behörden und Vermietern - alles Dinge, die zusätzlich Kraft und Zeit kosteten. Zugleich entwickelte sich in den Schulen jedoch ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, und die grossen und kleinen Erfolge und "Siege" gaben immer wieder Kraft zum Weitermachen.

Im Gegensatz zu den offiziellen Stellen, die den in ihren Augen chaotischen und zu extremen Schulprojekten meist gleichgültig oder misstrauisch gegenüberstanden und sie weiterhin stur als "Privatsache" betrachteten, war das Echo in der Öffentlichkeit, in der Presse und bei Fachleuten sonst häufig durchaus positiv. So schrieb beispielsweise die schweizerische Gesellschaft für Bildungs- und Erziehungsfragen in ihren mitte der 70er Jahre erschienen "Leitideen für ein zeitgemässes Erziehungswesen": "Das Elternrecht der Hauserziehung und das Recht auf freie Schulgründungen ist anzuerkennen. Mit der Einführung des Schulzwanges hat der Staat die Pflicht übernommen, die nötigen Schulen zur Verfügung zu stellen. Es besteht aber kein Grund, das Recht auf freie Schulgründung deshalb auszuschliessen. Die Erfahrung zeigt, dass von staatsunabhängigen Schulen immer wieder wertvolle Anregungen zur Verbesserung des gesamten Schulwesens ausgehen. Das Recht auf freie Schulgründungen ist darum in Verfassung und Gesetz ausdrücklich zu verankern."

In das Umfeld der positiven, unterstützenden Kräfte gehört nicht zuletzt auch die 1976 oder 77 gegründete "freie pädagogische Akademie", die sich u.a. zur Aufgabe machte, Lehrer und Lehrerinnen für eine andere, freiere Schule auszubilden, damit entsprechende Initiativen nicht immer wieder an der unzulänglichen, ja geradezu falschen Ausbildung der in ihr tätigen Lehrkräfte scheitern würden. - Obschon es möglich war, einiges in der angestrebten Richtung zu tun, musste die Akademie im März 1991 mangels nachwachsender Kräfte aufgelöst werden.

UES, MES, SOS - NEUE SCHULPROJEKTE IN GENF!

1975 wurde in Genf, in looser Verbindung mit der Ecole Active, eine erste Klasse ("Einheit") der UES (Unité d'Enseignement Secondaire) eröffnet. Man plant jedes Jahr eine neue Einheit an einem andern Ort der Stadt zu gründen. Jede Einheit soll von 4 bis 6 LehrerInnen während 3 Jahren (7. bis 9. Schuljahr) betreut werden. Die LehrerInnen sollten in dem freieren Rahmen der UES zusammen mit Eltern und SchülerInnen eine Pädagogik erproben können, für die in den staatlichen Schulen nicht oder nur wenig Platz war. Neben ihrer Arbeit in der UES sollten sie womöglich weiterhin in der staatlichen Schule unterrichten und nach 3 Jahren ganz in diese zurückkehren, um dort auf dem Hintergrund der in der UES gemachten Erfahrungen reformerisch zu wirken. Die nacheinander entstehenden Einheiten sollten an sich selbständig arbeiten, untereinander jedoch in Verbindung stehen. - Anfänglich entwickelte sich das Experiment gut. Nach und nach ging die angestrebte enge Verflechtung mit der Staatsschule jedoch verloren. Zu Beginn der 80er Jahre wurde die letzte Einheit der UES eröffnet und drei Jahre später hörte die Schule zu existieren auf.

Ein weiteres, spannendes Schulexperiment aus jener Zeit ist die Genfer Mutuelle d'Etudes Secondaire (MES), ein 1976 eröffnetes Gymnasium, das bis vor kurzem ausschliesslich von seinen SchülerInnen verwaltet wurde. Die MES war nach der Auflösung einer Genfer Privatschule als Zweckbündnis zwischen den plötzlich auf der Strasse stehenden SchülerInnen und LehrerInnen entstanden. Für die einen war es damals darum gegangen, ihre Ausbildung abschliessen zu können, für die andern ging es um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Durch das der Schule zu Grunde liegende Prinzip der Selbstverwaltung steht (oder stand?) die MES den freien Volksschulen innerlich nahe, wenn sie auch keine Freie Volksschule im engeren Sinn des Wortes ist.

WIR HABEN UNS SELBST ÜBERFORDERT - DIE KRISE DER FREIEN VOLKSSCHULE BERN

Im Frühjahr 1978 wird in Bern wiederum eine Freie Volksschule eröffnet. Im Dezember 1980, 2 1/2 Jahre nach Schulbeginn, macht die FV Bern plötzlich Schlagzeilen: Auf dem Höhepunkt einer seit längerem andauernden Krise kündigte das gesamte LehrerInnenteam. Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Eltern, zu viele "Problemkinder" und zu gegensätzliche pädagogische Positionen wurden als Gründe angegeben. 39 der 55 Kinder werden daraufhin von ihren Eltern auf das Ende des Schuljahres abgemeldet. "Wir wollten zuviel unter einen Hut bringen, und die Anforderungen von allen Seiten wurden zu hoch", zitiert der "Bund" einen von Anfang an an der FV Bern engagierten Vater (Der Bund, 2.6.81, "Ist die private Alternativschule am Ende?"). Nachdem man die Schule zuerst schliessen wollte entschieden sich eine kleine Gruppe von Eltern zusammen mit dem Trägerverein im Februar 1981, es noch einmal zu versuchen. 1984 musste die Freie Volksschule Bern "trotz guten internen Funktionierens" ihren Betrieb "wegen finanzieller Schwierigkeiten" schliesslich doch einstellen. Zu der von einigen beabsichtigten Wiederaufnahme des Betriebes nach einem Jahr ist es nicht mehr gekommen.

Damals war es auch in der freien Volksschule Affoltern zu einer Krise gekommen, die beinahe zur Schliessung der Schule geführt hätte. In diesem Fall bewährte sich jedoch die Vereinigung "freie Volksschule im Kanton Zürich", FVZ: Diese trug das Defizit der Freien Volksschule Affoltern, als diese während eines halben Jahres nur einem Kind besucht wurde.

DIE O+M UND WEITERE NEW-COMERS 1979/80

1979 wurde in Zürich von einigen wenigen Interessierten die "freie Orientierungs- und Mittelstufe" (O+M) eröffnet. Die schon seit einem Jahr als "Privatunterricht" geführte Schule war als Fortsetzung der nur die ersten 6 Schuljahre umfassenden Zürcherischen Freien Volksschulen gedacht. Die O+M sollte, so das Konzept, nach und nach zu einer schultypenübergreifenden "Gesamtschule" ausgebaut werden. In ihr sollte man in freier Weise auf eine Berufslehre, auf eine eidgenössische Matur oder auf ein anderes Schulziel hinarbeiten können. 1981 - nach 2-jährigem Betrieb - musste die O+M wegen zu geringer Nachfrage geschlossen werden. Die ungeeigneten Räumlichkeiten und das spürbar konservativer werdende gesellschaftliche Klima, das unklare Konzept der Schule und ihre mangelnde Verbundenheit mit den freien Volksschulen der Umgebung, sowie die generelle Überschätzung des Interesses der Eltern an rein pädagogischen Fragen wurden von den Beteiligten rückblickend als Hauptgründe für die geringe Attraktivität der Schule genannt.

1979 nahm die "unabhängige Volksschule Alttoggenburg" mit 5 und der "Espace du Loup" mit ca. 15 SchülerInnen ihren Betrieb auf. 1983 zog die stark anthroposophisch orientierte "unabhängige Volksschule Alttoggenburg" nach Wil um, wo sie seither als "Freie Volksschule Wil" weiterbesteht. Nachdem die Kinder der Gründer‑Eltern den "Espace du Loup" verlassen hatten und zu wenig neue Eltern sich für das Schulexperiment interessierten, wurde die Schule mitte der 80er Jahre wieder geschlossen.

GRUNDSATZDEBATTEN IN GENF - NEUGRÜNDUNGEN 1980 BIS 1984

1979-80 führte ein schon länger schwehlender Konflikt zur Spaltung der Ecole Active in Genf. Ein Teil der Eltern und der LehrerInnen hielten die Idee der Basisdemokratie und der Selbstverwaltung für gefährdet. sie verliessen deshalb die Schule und gründeten in Chêne-Bourg, einem Vorort von Genf, eine neue "Ecole Active". Der Konflitk zwischen den "Realos" der Barigoul und den "Fundis" der neuen Schule in Chêne-Bourg legte sich jedoch bald nach der Trennung, und es entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Schulen.

1982 und 1983 kommt es zur Gründung von 4 weiteren Schulen. Es entstehen die freie Volksschule Basel, die Weinlandschule in Pfungen (bei Winterthur), die freie Volksschule Nidwalden (in Stans) und die Ecole de la Grande Ourse (in la-Chaux-de-Fonds). Gleichzeitig schläft die Vereinigung "Freie Volksschule im Kanton Zürich" allmählich ein; die Verbindung zwischen den freien Volksschulen im Raum Zürich wird schwächer.

Neben diesen Schulgründungen waren seit Beginn der 1970er Jahre an zahlreichen Orten neue Rudolf Steiner-Schulen ins Leben gerufen wurden, und mit Gründungen in Basel, Zürich und Bern entstanden auch die ersten Schweizer Montessori-Primarschulen.

DIE SCHULGRÜNDUNGEN DER LETZTEN JAHRE - AGG, FVL UND CO

Im Frühjahr 1987 wurde in Basel nach sorgfältiger Vorbereitung ein von SchülerInnen und LehrerInnen gemeinsam geführtes freies Gymnasium eröffnet. Es wurde nach der letzten, in der Schweiz als Hexe verurteilten und verbrannten Frau "Anna Göldin Gymnasium", AGG, getauft. Es steht Allen offen, die ihre Schulpflicht hintersich haben und sich in diesem Rahmen auf die eidgenössischeMaturität vorbereiten oder sich in freier Weise weiterbilden wollen. Das AGG ist damit einer der ganz wenigen Versuche, den Gedanken der Selbstverwaltung, des "Schule selber Machens" auch im Bereich der Mittelschulen einzuführen. Es zeigt sich denn auch relativ bald, wie schwer es ist, freies, an eigenen Interessen orientiertes Lernen und gezieltes Arbeiten für die Maturität im Rahmen einer Lerngruppe zu verwirklichen. Nachdem die SchülerInnen, die an einer Matur nicht interessiert waren, die Schule im Laufe der ersten Jahre verlassen hatten, bestanden im Herbst und Winter 91/92 die 7 übrig gebliebenen SchülerInnen der 1. Generation des AGG die eidgenössische Matur. Zugleich hatte sich eine 2. Lerngruppe gebildet, um das Experiment "selbstverwaltetes Gymnasium" noch einmal zu wagen.

In den Jahren 1987 bis 1990 werden weitere 5 Schulen gegründet, die sich der Idee der freien Volksschulen verpflichtet fühlen: Es handelt sich um die Montessorischule March (heute in Sibnen), die freie Volksschule Luzern, die freie Volksschule Aarau, die freie Volksschule Solothurn, die Taminaschule in Malans (Seit August 92 in Landquart). Während die Schulen in den 70er Jahren in der Regel mit 20 oder mehr Kinder beginnen konnten, sind die Schulen bei ihrer Gründung jetzt viel kleiner. Einzig die freie Volksschule Luzern kann mit 21 Kindern beginnen.

Als durch die unerwartete Abmeldung mehrerer Kinder das enge Budget der freien Volksschule Aarau im Frühjahr 1992 plötzlich aus dem Gleichgewicht geriet war die Schule gezwungen, beinahe von einem Tag zum andern ihren Betrieb einzustellen und den Konkurs anzumelden. Der Konkurs der freien Volksschule Aarau ist symptomatisch für den ständigen materiellen Überlebenskampf, der ein Teil der Realität der freien Volksschulen und anderer kleiner Alternativschulen ist. Obwohl diese Schulen immer wieder die Verbindung mit dem staatlichen Bildungswesen gesucht haben und noch suchen, obwohl sie immer wieder auf ihre prekäre finanzielle Lage und die von ihnen im öffentlichen Interesse geleistete Arbeit aufmerksam gemacht haben, werden sie hierzulande in der Regel nach wie vor nicht unterstützt. Einzig der Kanton Jura und der Kanton Luzern entrichten Subventionen in mehr als symbolischer Höhe. Breiter angelegte politische Vorstösse wie etwa die Initiativen für ein Recht auf freie Schulwahl, die 1981 und 1983 in den Kantonen Basel-Stadt und Bern lanciert wurden, scheiterten, falls sie überhaupt Zustande kamen, am "Nein" der StimmbürgerInnen, die seit der allgemeinen Etablierung des Staatsschulsystems im vergangenen Jahrhundert jede private Initiative im Bildungsbereich als Luxus irgendeiner unwesentlichen Elite betrachten und kein Gefühl dafür haben, dass es hier um die Verwirklichung eines fundamentalen Menschenrechtes - des Rechtes auf eine Bildung gemäss den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen - geht.

MITENAND GOHT'S BESSER ... ALTERNATIVSCHULTREFFEN UND SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG

Um in dieser Richtung bewusstseinsbildend nach "aussen" wirken und sich gegenseitig in der täglichen Arbeit vermehrt begleiten und unterstützen zu können trafen sich im Mai 1986 ca. 30 Personen aus dem Kreis der freien Volksschulen und anderer Schweizer Reform-und Alternativschulen zum 1. Schweizer Alternativschultreffen. Es folgten weitere Treffen auf der Beguttenalp bei Aarau (1987), in den Räumen der Freien Volksschule Basel (1988), im Schlössli in Ins (1989), in der Ecole de la Grande Ourse in la Chaux-de-Fonds (1990) und wiederum in Luzern (1991). Auf Grund des an diesen "offenen" Treffen öfter geäusserten Bedürfnisses nach vermehrter Zusammen- und Weiterarbeit auch während des Jahres gründeten ca. 12 freie Schulen sowie einige Einzelpersonen im November 1990 (im Rahmen des 5. Alternativschultreffens) die Vereinigung der freien Schulen der Schweiz oder die - so der französiche Name -Association Suisse des Ecoles Nouvelles (VFSS/ASEN). Diese versucht heute - ähnlich wie es die FVZ vor 20 Jahren für den Raum Zürich tat - die Verbindung zwischen den einzelnen Schulen zu stärken, bei Neugründungen und Krisen beizustehen und die pädagogischen und bildungspolitischen Anliegen der in ihr zusammengeschlossenen Alternativschulen gegenüber Behörden und gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten.

BILANZ

Seit der Gründung der ersten freien Volksschule vor 20 Jahren hat sowohl die gesamte Bewegung als auch jede einzelne Schule gewisse Entwicklungen durchgemacht, die sowohl Ausdruck der veränderten bildungspolitischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch Ausdruck der menschlichen "Natur", so wie wir sie zur Zeit in uns vorfinden, sind. Einige dieser Entwicklungen seien als Bilanz der geschilderten Ereignisse und als Ansatz einer aktuellen Standortbestimmung der Bewegung der freien Volksschulen abschliessend kurz beschrieben:

Relativierung des Grundsatzes der Basisdemokratie: Die Idee der Basisdemokratie und die kritische Haltung gegenüber festen organisatorischen Formen und Strukturen ist in den meisten Schulen im Laufe ihres Bestehens zu gunsten klarer Kompetenz- und Arbeitsaufteilungen etc. in den Hintergrund getreten.

-          Verminderung des Einflusses der Eltern im pädagogischen Bereich: Die Mitbestimmung im pädagogischen Bereich durch die Eltern wurde in den meisten Fällen zurückgebunden oder ganz aus dem Schulkonzept gestrichen. Ähnlich wie dies in den Rudolf Steiner, den Montessori- und andern reformpädagogischen Schulen üblich ist, sind Entscheidungen im Bereich der Unterrichts- und Erziehungsarbeit inzwischen auch hier in erster Linie Sache der in der Schule tätigen Lehrer und Lehrerinnen.

-          Abkehr vom Prinzip einer "antiautoritären Erziehung": Bereits mitte der 70erjahre wandte man sich auch im Bereich der freien Volksschulen mehr und mehr von der anfänglich sehr einflussreichen Idee der "antiautoritären Erziehung" im Sinne A. S. Neill's ab. Der Versuch, den Kindern keine Grenzen mehr zu setzen, von ihnen nichts mehr zu verlangen und zu fordern, um ihnen damit eine ganz freie Entwicklung zu ermöglichen, führte, so stellte man immer klarer fest, bei den Kindern zu Verwöhnung und Verwilderung und bei der Erwachsenen zu Selbstaufgabe und Enttäuschung. Man    betonte jetzt vor allem den partnerschaftlichen Dialog zwischen den Erwachsenen und den Kindern als Grundlage der Erziehung.

-          Mehr Strukturen im Unterricht: Auch im Bereich des Unterrichts ist man von der zu Beginn der 70er Jahre gewollten und erprobten grossen Offenheit und Freiheit - dem "ihr müsst wissen, was ihr wollt ..." - zu klareren Strukturen zurückgekehrt. Dabei spielen reformpädagogische Ansätze (Freinet, Montessori, Waldorf), Projekt- und Werkstattunterricht eine relativ grosse Rolle.

-          Von der Pionier- zur Normalschule: Durch die in vielen Kantonen im Laufe der letzten 15 ahre vollzogene Abschaffung der Noten während der ersten Primarschuljahre, durch vermehrt individualisierende Arbeitsformen in der Schule, durch einen merklich veränderten Umgangston zwischen LehrerInnen und SchülerInnen und eine zumindest teilweise spürbare Veränderung der Beziehungen zwischen Schule und Eltern, durch die allmählich in Gang kommende Eröffnung staatlicher Tagesschulen u.a.m. verlieren die freien Volksschulen zumindest im Bereich der Primarschule allmählich ihren pädagogischen "Vorsprung" auf die staatlichen Schulen. Damit wird es schwieriger, das nach wie vor Besondere des Schulkonzeptes einer freien Volksschule, ihre eigentliche Qualität und "Stärke" zu beschreiben und erlebbar zu machen, bzw. sie selber noch zu sehen und zu erleben.

-          Von der Alternativ- zur Sonderschule: Eine ganze Reihe von Freien Volksschulen definieren sich heute bewusst als Schule für lernbehinderte oder verhaltensauffällige Kinder oder als Sonderschule anderer Art. Die freie Volksschule Oberglatt hat diesen Schritt um 1985 vollzogen; die freien Volksschulen in Affoltern oder in Lenzburg taten dies zwischen 1988 und 1990. Damit nahmen diese Schulen klar Stellung zu einem "Problem", das im Grunde alle Alternativschulen betrifft. Statt als pädagogische Alternative werden diese Schulen häufig als mehr oder weniger willkommene Notlösung, als Alternative zur "Hilfsschule" oder zum Sitzenbleiben gewählt. Ja zum Teil scheint man sich geradezu zu erhoffen, dass Alternativschulen (ihrer besonderen Methoden und individuellen Strukturen wegen) bessere Schulen sind als die von Ausländerkindern überschwemmten, altmodischen Schulen des Staates.

-          Von der Freien zur Privaten Volksschule: Während differenzierte Abstufungen in der Höhe des Schulgeldes oder das System der Selbsteinschätzung und ähnliche Formen zu Beginn der Bewegung selbverständlicher Grundsatz waren, scheint schon seit einiger Zeit eine Tendenz zu festen Schulgeldregelungen und eine Abkehr von "Sozialtarifen" etc. vorzuherrschen. Man scheint heute ganz allgemein komerzieller denken und längerfristig zu planen.

-          Vom allgemeinen, politischen, zum konkreten pädagogischen Engagement: Eltern und LehrerInnen setzten sich zu Beginn der Bewegung der freien Volksschulen in erster Linie aus grundsätzlichen, gesellschaftlichen und politischen Motiven für eine freie Volksschule ein. Heute geht es dagegen viel eher um ganz konkrete Anliegen und Vorstellungen oder um die Lösung ganz individueller pädagogischer (Not)-Situationen.

In gewissem Sinn kann man diese Entwicklungen als Ermüdungs- oder Abnützungserscheinungen des ursprünglichen Idealismus bezeichnen und bedauern. Es sind jedoch gleichzeitig auch die Ergebnisse eines zwar für Viele schmerzlichen, aber bis zu einem gewissen Grad unvermeidlichen Anpassungsprozesses an die heute gegebenen Um- und Innenweltbedingungen. Letztlich ist die weitere Verwirklichung der den freien Volksschulen zu Grunde liegenden Idee ohne entsprechende Veränderungen in ihrem Umfeld, in unserem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben nicht oder nur immer sehr beschränkt möglich, denn es geht bei diesen Schulen um mehr als nur um eine "bessere" oder "andere" Pädagogik.