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An Zoe N., 2. Mai 2010, Basel

Liebe Zoe! Eigentlich wollte ich noch ein Gedicht schreiben, eines ganz allein für dich, und ein Buch wollte ich kaufen.

Ich wollte noch einen Kuchen backen und dir sieben oder neun seidene Kleider nähen, damit dir nie kalt wird in deinem hoffentlich langen und glücklichen Leben. Ich wollte dir ein paar weisse Bogen Papier schenken, damit du darauf alles festhalten kannst, was dir in diesem Leben begegnet, alles Gute und alles Schmerzliche gleichermassen. Ich wollte dir auch einen Korb flechten und eine Truhe schnitzen, damit du, was du an Reichtum in deinem Leben erwirbst, hineinlegen und mit dir nehmen kannst, wohin auch immer deine Wege gehen werden. Ich wollte dir auch ein Flugzeug schenken, damit du dich etwas zurückziehen kannst in höhere Sphären, wenn dir die Menschen hier unten auf den Geist gehen und du eine Pause brauchst. Auch ein Fernrohr habe ich gesucht auf dem Markt, damit du auch weit entfernte Dinge leicht erkennst, und ein Hörrohr wollt' ich dir schenken, damit du gut gerüstet bist, auch das Stille und das Leise auf der Welt zu hören. Alles dieses wollt' ich, doch dann war's plötzlich Sonntag, zweiter Mai acht Uhr drei! Und ich muss mich noch rasieren - will ja keinen nicht schockieren! -, muss mich in die schönen Kleider stürzen und ... noch ist das Gedicht nicht fertig und die Truhe nicht geschnitzt und die seid'nen Kleider hab ich nicht genäht, und die versproch'ne Torte ... alles sind bloss schöne Worte ... Aber ... nein, kein aber ich muss gehen, denn bald wirst du in der Kirche stehen und dann ...

Ganz härzligi Glückwünsch für der hüttigi Tag und alles alles guiti für die nögschte 371 Johr!