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An Henry C., 2. Januar 1999, Basel

Lieber Henry Cassirer! Ich beginne das neue Jahr damit, dem langsam zu gross werdenden Berg von Zetteln und Zettelchen zu Leibe zu rücken, die  sich während der letzten Monate auf meinem Schreibtisch angesammelt haben und mich alle an dies oder das erinnern! DA liegt nun auch Ihr Brief vom 29. Oktober, in dem Sie Sich so anerkennend  über den ersten Band meiner Geheeb-Biographie äussern! Sie können Sich sicherlich denken, dass ich mich über Ihre Beurteilung meiner Arbeit, insbesondere des Kapitels über die Cassirer-Familie gefreut habe!

Inzwischen arbeite ich also mehr oder weniger zielstrebig und  fleissig am zweiten Band dieses Opus Maximum, in  welchem die Cassirers, besonders natürlich Max und Edith, noch einmal ausgiebig zu Wort kommen sollen und müssen. Während ich Edith 1975, als ich erstmals für 9 Monate in der Ecole mitarbeitete, noch selber kennen und schätzen gelernt habe, kenne ich Ihren Grossvater Max Cassirer natürlich nur durch die in der Ecole aufbewahrten Briefe und die relativ wenigen sonstigen schriftlichen  Zeugnisse von bzw. über ihn. In je verschiedener Weise sind mir Beide  im Laufe der Zeit sehr „ans Herz gewachsen", was hoffentlich in dem, was ich über sie sagen werde, zum Ausdruck kommen wird.

Insbesondere die Art und Weise, wie Ihr Grossvater sich immer wieder bemüht hat, seinen wirklich nicht einfachen Schwiegersohn zu verstehen und ihm bei der Verwirklichung seiner Träume behilflich zu sein -, dieses Ringen eines absoluten „Realisten" mit einem so provokativ „weltfernen" „Idealisten" beeindruckt mich immer wieder! Wie oft ist Ihr Grossvater im Laufe der Zeit über „seinen Schatten" gesprungen und hat  trotz aller Vorbehalte aus ganzem Herzen gegeben! - Nun, hoffen wir, die Darstellung (nicht nur dieser Seite der Geschichte!) werde einigermassen gelingen!

Sie geben in Ihrem Brief der Hoffnung Ausdruck, dass wir einmal Gelegenheit haben werden, miteinander zu sprechen -, nicht nur über meine Arbeit, sondern auch über das uns verbindende Thema der Behinderung und des Selbstbestimmten Lebens ... – Natürlich würde ich mich über eine solche Gelegenheit sehr freuen. Falls Sie vor haben, in nächster Zeit wieder einmal in die Ecole zu kommen, so wäre dies wohl der beste Ort für ein solches Treffen, da auch ich häufig dort bin und leicht für einen Tag von Basel hinauffahren könnte. Auch ein Treffen in Bern oder Zürich oder Basel wäre möglich, falls Sie einmal in der Schweiz sind. – Sollte ich meinerseits einmal in Ihre Gegend kommen (das geschieht nicht oft, könnte aber in diesem Frühjahr tatsächlich der Fall sein), dann werde ich mich bei Ihnen melden! - In der Hoffnung, uns bald einmal zu treffen, sende ich Ihnen meine herzlichsten Grüsse und Wünsche zum  Jahresanfang!